Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Familienpolitik und Verwaltungsstrukturen

Strategische Ausrichtung der Kommunalverwaltung

von Jörg Bogumil

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, eine ressortübergreifende Kooperation in der Verwaltung institutionell zu stärken. Je nach zugrunde liegendem Modell verfügen die mit kommunaler Familienpolitik befassten Beschäftigten der Verwaltung über unterschiedlich viel Informationen, Entscheidungskompetenzen und Durchsetzungskraft.
„Reine“ Modelle sind in der Realität allerdings kaum zu erwarten. Es kann Abwandlungen oder Mischformen geben. Um die Funktionsweise zu beschreiben, bietet sich jedoch eine idealtypische Betrachtungsweise an.

 

Amt für kommunale Familienpolitik

Die größtmögliche Stärkung erfährt die „kommunale Familienpolitik“, wenn für sie ein integriertes Amt bzw. ein integrierter Fachbereich eingerichtet wird. Alle den Bereich der Familienpolitik betreffenden kommunalen Verantwortungsbereiche werden hierbei in einer Zuständigkeit gebündelt. Die Vorteile dieser Konstruktion sind klare Verantwortlichkeiten und eine Beibehaltung der Verfahren. Die Koordinierung von Prozessen wäre also weiterhin in den klassischen hierarchischen Strukturen möglich. Es gäbe einen eigenen Verwaltungsunterbau. Bei dezentraler Ressourcenverwaltung ist ein flexiblerer Einsatz der Ressourcen für die Belange der Familienpolitik möglich, als dies der Fall wäre, wenn die Mittel verschiedenen Ämtern zur Verfügung gestellt würden. Die Konkurrenz zwischen solchen Ämtern würde bei einer Zusammenfassung ebenfalls nicht mehr bestehen. Das Amt bzw. der Fachbereich hätte ein höheres politisches Gewicht und damit bessere Artikulationsmöglichkeiten gegenüber der Politik und anderen Fachbereichen.Nachteile einer solchen Konstruktion wären Schnittstellenprobleme und damit zusammenhängende Widerstände: Es stellt sich die Frage, welche Aufgabenbereiche, Personen und Etats in einen neuen Zuständigkeitsbereich überführt würden. Für einen solchen Umbau müssten politische Mehrheiten gewonnen werden. Geronnene Ämterstrukturen und Partikularinteressen könnten diesen Prozess erschweren. Auch müssen rechtliche Grenzen beachtet werden: Die gesetzlich dem Jugendamt zugeschlagenen Zuständigkeiten müssten dort verbleiben. Beim Personal eines neuen integrierten Bereiches wären (zumindest zu Beginn) Qualifizierungsprobleme zu erwarten. Die bisher thematisch fokussierte Arbeitsweise müsste ggf. einer ganzheitlichen Herangehensweise weichen. Denkbar sind in diesem Zusammenhang Konflikte zwischen denjenigen, die den neuen Weg unterstützen und denjenigen, die der alten Struktur bzw. ihrem alten Aufgabenzuschnitt nachtrauern.Beispiele für integrierte Ämter bzw. Fachbereiche gibt es in der Praxis kommunaler Selbstverwaltung übrigens bereits. Die Bürgerämter (auch Bürgerbüros genannt) sind das bekannteste Beispiel für eine Struktur, in der vormals getrennte Aufgaben bzw. Dienstleistungen einer Kommune zusammengeführt wurden.

 

Stabsstellen

Fast genauso mächtig wie eigenständige Ämter bzw. Fachbereiche können Stabsstellen sein. Dies hängt davon ab, wie sie aufgestellt sind. Stabsstellen sind spezialisierte Einheiten mit fachspezifischen Aufgaben außerhalb der klassischen Hierarchien nach dem Linienprinzip – also ohne Weisungskompetenz und Unterbau. Zu unterscheiden sind strategische Stabsstellen (z.B. Controlling), konzeptionelle Stabsstellen (z.B. zur Verwaltungsmodernisierung) und anzuhörende/kontrollierende Stabsstellen (z.B. Gleichstellungsbeauftragte). Die Unabhängigkeit von Ressortinteressen ist der größte Vorteil von Stabstellen in der Verwaltung. Ein kurzer Draht zur politischen Führung reduziert die so genannte Steuerungslücke. Mit einer Stabsstelle sind konzeptionelle, strategische Arbeiten möglich, ohne auf Linienaufgaben Rücksicht zu nehmen.Der fehlende Verwaltungsunterbau und wenig eigene Ressourcen sind der Nachteil dieser Freiheit: Die in den Stabsstellen erarbeiteten Konzepte können nicht eigenständig durchgeführt werden. Doppelzuständigkeiten sind möglicherweise nicht zu vermeiden. Es kann zu Konflikten mit Ressorts kommen. Es gibt keine eigene Ergebnisverantwortung. Wenn eigene Weisungsrechte fehlen, ist die Stabsstelle stark auf politischen Rückhalt angewiesen.

 

Federführung

Vergleichsweise schwächer als Amt oder Stabsstelle ist das Konzept der Federführung. Davon wird gesprochen, wenn einer Verwaltungseinheit für eine bestimmte Aufgabe die eindeutige Verantwortlichkeit zugesprochen wird. Doppelzuständigkeiten sollen so vermieden werden. Die federführende Einheit kann ein Amt (z.B. das Jugendamt) oder eine Stabsstelle (z.B. die Gleichstellungsbeauftragte) sein. Die federführende Einheit ist gleichzeitig verpflichtet, die andern von Entscheidungen betroffenen Verwaltungseinheiten zu beteiligen. Eine Mitzeichnung im sog. „Sternverfahren“, wie es aus der Bauordnung bekannt ist, kann hier als Prinzip verankert werden. Eine Einheit mit der Federführung zu beauftragen, lässt sich schnell und kostengünstig umsetzen. Es gibt geringe Transaktionskosten. Zudem sind Fragen von Verantwortlichkeiten klar beantwortet.Nachteile können bei Konflikten mit anderen Ressorts entstehen. Es muss gewährleistet werden, dass übergreifende Ziele gegebenenfalls Vorrang haben gegenüber Interessen des eigenen Ressorts. Trotz klarer Verantwortlichkeit für eine Aufgabe gibt es keine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Ressorts. Dies kann eine einheitliche Zielrichtung der Aktivitäten einer Kommune im betroffenen Politikbereich gefährden.

 

Projektorganisation

Ein Projekt ist ein einmaliges, klar umrissenes Vorhaben mit definiertem Anfang und definiertem Schluss. Solche befristeten Strukturen empfehlen sich nur, wenn auch die Aufgabenstellungen, auf die sie sich beziehen, befristet sind. Für die dauerhafte und komplexe Aufgabe kommunaler Familienpolitik scheint eine Projektorganisation daher ungeeignet. Für einzelne Aspekte solcher Aktivitäten kann sie geeignet sein. Beispiele für Projektorganisation sind „Soziale Stadt“ oder „Stadtumbau Ost/West“. Für neue Themen und akute Probleme erscheint die Projektorganisation als Instrument geeignet. Die autarke Arbeitsweise begünstigt eine vertiefende Einarbeitung in komplexe Sachverhalte.Nachteil der Projektorganisation ist die unsichere Nachhaltigkeit: Wird die Ergebnissicherung nicht organisiert, können Erkenntnisse und Erfahrungen verloren gehen. Ähnlich wie bei Stabsstellen leidet das Konstrukt unter einer Outsider-Position im Verwaltungsapparat sowie unter häufigen Abstimmungserfordernissen.

 

Koordinationsgremien

Koordinationsgremien sind informelle oder formelle Gremien zur horizontalen Abstimmung zwischen Ressorts. Beispiele für solche Kommunikationszirkel sind Arbeitsgruppen oder Dezernentenrunden. Das Instrument berücksichtigt alle relevanten Interessen und Meinungen innerhalb einer Verwaltung und ist insofern sehr genau. Diese Genauigkeit kann bei komplexer Thematik oder kontroversen Positionen aber zu Entscheidungsverzögerung führen – oder Entscheidungen verhindern.Koordinationsprozesse lassen sich grundsätzlich unterscheiden nach positiver und negativer Koordination. Dabei drücken die Adjektive „positiv“ und „negativ“ keine Wertung aus, sondern beschreiben die Handlungsoptionen beteiligter Einheiten.Bei Prozessen negativer Koordination beschränkt sich die Beteiligung auf die Frage, ob eine entsprechende Planung mitgetragen werden kann, oder ob es Einwände gibt. Die Initiative zur Problemverarbeitung geht von einer spezialisierten Einheit aus und ist dieser zugeordnet, und diese ist vorrangig auf das eigene Problem fixiert, ansonsten interessiert nur, inwieweit andere Bereiche negativ durch vorgesehene Lösungen und Maßnahmen betroffen sind. Gegebenenfalls wird das koordinierende Gremium um Nachbesserung gebeten. Die Kommunikation findet aber immer nur zwischen genau zwei Einheiten gleichzeitig statt.Im Falle positiver Koordination kommunizieren alle potentiell an einer Entscheidung beteiligten Einheiten auch untereinander – und zwar auch gestaltend. Auf der Grundlage einer Analyse des gesamten Problemzusammenhangs sollen Maßnahmen aus unterschiedlichen Bereichen ausgewählt werden, die einander unterstützen und gemeinsam zur Problemlösung beitragen. Dadurch erhöht sich allerdings die Zahl möglicher Kommunikationsvorgänge um ein Vielfaches. Es droht Entscheidungsunfähigkeit und Intransparenz. Im Falle von positiver Koordination können zu hohe Transaktionskosten entstehen. Daher dominiert in der Regel die negative Koordination.

 

Definition als Querschnittsaufgabe

Noch weniger „mächtig“ als die bisher genannten Varianten ist diese Organisationsform, die eine horizontale Zentralisierung beschreibt. Aus den Facheinheiten werden einzelne Aufgaben und Kompetenzen herausgelöst, die dann bereichsübergreifend von einer neuen Querschnittseinheit wahrgenommen werden. Diese eignen sich gut für Serviceaufgaben wie Computerwartung oder andere Service-Aufgaben. Das Konstrukt erscheint – zumindest auf den ersten Blick – schlecht geeignet für inhaltliche politische Aufgaben. Vorteile der Querschnittseinheit ist die Unabhängigkeit von Ressortinteressen und der größere Ausgleich von Nachfrageschwankungen: Je mehr Einheiten sich die Ressource teilen, desto besser werden Höhen und Tiefen der Nachfrageintensität ausgeglichen. Ein kurzer Draht zur politischen Führung reduziert die Steuerungslücke. Eine Bündelung der Kompetenz begünstigt genauere Einschätzungen zu Bedarf und Verfahrensoptimierungen. Problematisch erscheint in Bezug auf dieses Instrument die genaue Abgrenzung von Kompetenzen. Zudem müssen Schnittstellen definiert werden, wann auf welchem Weg die Querschnittseinheit eingebunden wird – und wann nicht.

 

Mehrliniensystem

Im Mehrliniensystem (funktionale Organisation) werden – als Ergänzung des „Ein-Linien-Systems“ wie man es aus einem klassischen Organigramm kennt – Aufgabenbereiche unterschiedlicher Linien miteinander verknüpft. Fachbereiche unterschiedlicher „Stränge“ einer Verwaltung stehen so in unmittelbarer Verbindung zueinander. Ein Beispiel für diese Organisationsform ist der Allgemeine Soziale Dienst (ASD). Vom Mehrliniensystem kann eine Entlastung der Leitungsspitze erhofft werden, denn wenn die unteren Ebenen regulär zusammenarbeiten, ist die Spitze in die einzelnen Vorgänge organisatorisch und inhaltlich nicht involviert. Es gibt eine Verkürzung der Informations- und Weisungswege sowie eine direktere und schnellere Kommunikation. Dass eine Einheit dadurch faktisch mehreren Vorgesetzten unterstellt sein kann, kann produktive Konflikte befördern und die Problemlösungskapazität erhöhen.Bei Mehrfachunterstellungen besteht aber auch die Gefahr der Unklarheit von Verantwortlichkeiten. Wenn die Verbindlichkeit einzelner Weisungen im Einzelfall geprüft werden muss, ist die Ersparnis von „Umwegen“ schnell wieder verbraucht. Hinzu können wie bei Querschnittseinheiten Schnittstellen- und Kompetenzabgrenzungsprobleme treten. Einzelne Dienste oder Aufgaben (z.B. ASD) lassen sich im Mehrliniensystem leichter neu organisieren als ganze politische Handlungsfelder (z.B. kommunale Familienpolitik).



Autor:
Jörg Bogumil
Inhaber des Lehrstuhls „Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik“  an der Ruhr-Universität Bochum.


Erstellungsdatum: 25.09.2007
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