Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Aktuelle Familienstrukturen

Interview: Unterstützung für Alleinerziehende – Fragen an Antje Beierling

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) unterstützt Alleinerziehende durch Beratung und aktuelle Informationen. Wir sprachen mit Antje Beierling, Vorstand des VAMV NRW, über die Arbeit des Vereins und Unterstützungsbedarfe der Alleinerziehenden.
Frau Beierling, Ihr Verband macht sich für die Interessen von Alleinerziehenden stark. Wer gehört aus Verbandssicht zu dieser Gruppe?

Die Gruppe der Alleinerziehenden ist sehr heterogen. Dazu gehören ledige Mütter sowie getrennte, geschiedene und verwitwete Mütter und Väter. Manche haben noch nie mit einem Partner zusammengelebt, andere wiederum über Jahrzehnte. Viele Mütter haben nach wie vor auf eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit verzichtet, andere waren die Familienernährerin. Aus der unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeit ergeben sich jeweils ganz spezifische individuelle Herausforderungen. Der VAMV NRW vertritt die Interessen von Alleinerziehenden mit ihren Kindern, die nicht mit dem anderen leiblichen Elternteil zusammenleben.

Der Verband selbst beschreibt sich unter anderem als „Seismograph“, der schnell erkennt, welche aktuellen Probleme vorherrschen. Welche Herausforderungen und Unterstützungsbedarfe von Alleinerziehenden würden Sie aktuell besonders hervorheben?

Zunächst einmal sind die Unterstützungsbedarfe genauso so heterogen wie die Gruppe der Alleinerziehenden. Jede Trennung und Scheidung ist mit individuellen Herausforderungen verbunden. Ein aktuelles Thema ist aber sicherlich die Neuregelung des Sorgerechts bei nicht verheirateten Eltern, die im Mai 2013 in Kraft getreten ist. Hier beobachten wir noch viele Unsicherheiten und Ängste unter den alleinerziehenden Müttern, die bearbeitet werden müssen.

Ein anderes wichtiges Thema ist eher ein Dauerbrenner, aber durch den jüngst vorgelegten Datenreport 2013 wieder hochaktuell: Die Armut in Einelternfamilien. Kinder von Alleinerziehenden haben ein dreimal so hohes Armutsrisiko wie Kinder in Paarfamilien. Viele leben jahrelang im Arbeitslosengeld II-Bezug. Hier brauchen wir dringend Kräfte, die dem entgegen wirken. Wir haben als VAMV NRW z.B. in diesem Jahr die Beistandschaft verstärkt in den Blick genommen, eine Servicestelle beim Jugendamt, die sich darum kümmert, dass pünktlich und ausreichend Kindesunterhalt gezahlt wird. Hier ist dringend weitere Unterstützung nötig, deswegen fordern wir u.a. die Beistandschaft personell besser auszustatten und weiter zu qualifizieren.

In der Diskussion um das Thema geraten die alleinerziehenden Väter oft etwas in den Hintergrund, auch weil sie im Vergleich eine relativ kleine Gruppe stellen. Gibt es bei dieser Gruppe besonderen Unterstützungsbedarf?

Nein, in unserem Verband können wir diese Beobachtung nicht teilen. Schon 1976 haben wir bundesweit die „Väter“ mit in den Namen VAM“V“ mit aufgenommen. Auch in den Mitgliederzahlen sind die Väter entsprechend ihrem Anteil  an den Alleinerziehenden insgesamt vertreten. Väter gibt es auf allen drei Ebenen in den Ortsverbänden, Landesverbänden und im Bundesverband in den Vorständen und Gremien. Sie besuchen unsere Sonntagsfrühstücke, nehmen unsere Gesprächsangebote an und fahren mit auf Freizeiten. Und alleinerziehende Väter stehen vor denselben Herausforderungen wie alleinerziehende Mütter hinsichtlich Kinderbetreuung, Unterhaltsrealisierung, Umgangsregelungen, etc.

www.familie-in-nrw.de richtet sich ja vor allem an familienpolitische Akteure in den Kommunen. Welche Probleme sehen Sie im Aufgabenbereich der örtlichen Ebene?

  • Antje Beierling, Vorstand des VAMV NRW
Zurzeit werden wir sehr stark mit dem Thema bezahlbarer Wohnraum konfrontiert. Mieten und Nebenkosten sind gerade in den Großstädten enorm angestiegen und für Alleinerziehende kaum noch bezahlbar. Dadurch werden sie immer mehr abgedrängt in sozial benachteiligte Stadtteile. Ein weiteres bedeutendes Thema ist nach wie vor die Kinderbetreuung. Alleinerziehende wünschen sich bezahlbare, verlässliche, bedarfsgerechte und qualitätsvolle Ganztagsangebote. Die größten Probleme ergeben sich bei der Schulbetreuung und bei den Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtungen. Da der Partner fehlt, kann dieser auch nicht früh morgens, spät abends oder nachts die Betreuung übernehmen. Ergänzende bzw. bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote stehen überall auf der Wunschliste ganz oben. Ebenso selbstverständlich ist der Wunsch nach Arbeitgebern, die mehr Rücksicht nehmen auf Familienbelange und familienfreundliche Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Welche Unterstützungsangebote im kommunalen Bereich halten Sie aktuell für ganz besonders wichtig?

Wichtig und notwendig sind die ideelle und eine auskömmliche finanzielle Unterstützung der bestehenden VAMV Ortsverbände sowie der Zusammenschlüsse von Alleinerziehenden. Sie brauchen dringend angemessene Orte für das Zusammentreffen und den Austausch vor allem am Sonntagmorgen. Beratungsangebote speziell für Alleinerziehende müssen zur Verfügung stehen und ausreichend bekannt sein, so dass sie auch unmittelbar in Anspruch genommen werden können. Zur Existenzsicherung der Kinder muss die Beistandschaft in den Kommunen besser ausgestattet, qualifiziert und bekannt werden. Zu viele Kinder erhalten keinen angemessenen Unterhalt und haben ein sehr hohes Armutsrisiko.

Wo sehen Sie Lücken im Angebot?

Es fehlen qualifizierte Angebote zur ergänzenden Kinderbetreuung, die eine Existenzsicherung ermöglichen. Viele Alleinerziehende können keine Erwerbstätigkeit aufnehmen bzw. erweitern, da die Arbeitszeiten nicht kompatibel sind mit den Kinderbetreuungsangeboten. Vor allem im ländlichen Bereich fehlen Anlaufstellen für Alleinerziehende.

Für die nachhaltige Existenzsicherung der Einelternfamilie fehlen Projekte und Programme, die es den Müttern und Vätern ermöglichen, nach Trennung und Scheidung eine neue berufliche und private Perspektive mit ihren Kindern zu erarbeiten, diese zu verfolgen, sich dafür zu qualifizieren und letztendlich auch umzusetzen. Dazu bedarf es vor allem Zeit für die Umorientierung und eines persönlichen Coachs, der den Weg begleitet und als Lotse zur Verfügung steht. Der Druck auf Alleinerziehende, möglichst schnell die eigene Existenzsicherung nach der Trennung sicherzustellen, führt in der Regel nicht zu einer nachhaltigen Eingliederung in den Arbeitsmarkt und damit auch nicht heraus aus dem sehr hohen Armutsrisiko. Auch für Alleinerziehende jenseits der 30 Jahre müssen Möglichkeiten geschaffen werden, eine Ausbildung oder Umschulung machen zu können.

Gibt es konkrete positive Beispiele im Unterstützungsspektrum, die Sie hervorheben und den Kommunen zur Nachahmung empfehlen möchten?

Das Projekt EliTA (Eltern in Teilzeit-Ausbildung) des Bildungsinstituts der Rheinischen Wirtschaft (BRW) in Krefeld, Euskirchen und Bergheim halten wir für ein gelungenes Beispiel eines Arbeitsmarktprojektes für alleinerziehende Mütter und Väter. Das Projekt überzeugt durch seine Konzeption und die Zielrichtung, auch ältere Teilnehmer und Teilnehmerinnen in eine Teilzeit-Ausbildung zu vermitteln. Eine gelungene Vernetzung führt dazu, dass alle im Kern und am Rande involvierten Akteure auf ein Ziel hin arbeiten: Nachhaltige berufliche Perspektiven und existenzsichernde Beschäftigung für allein erziehende Mütter und Väter. Hierzu zählen neben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BRW und den Teilnehmenden selbst, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Führungskräfte des lokalen Jobcenters, des Jugendamtes und von Kinderbetreuungseinrichtungen und nicht zuletzt lokale Arbeitgeberinnen und Arbeitergeber.


Erstellungsdatum: 18.12.2013, letzte Aktualisierung am 18.12.2013
Veranstaltungskalender
März
Mo Di Mi Do Fr Sa So
9 27 28 1 2 3 4 5
10 6 7 8 9 10 11 12
11 13 14 15 16 17 18 19
12 20 21 22 23 24 25 26
13 27 28 29 30 31 1 2

alle Termine