Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Fachkongress 2012

„Familie groß geschrieben – Erwartungen und Strategien“

© Marek Eggemann, RevierA GmbH, Essen
Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Praxis diskutierten über Herausforderungen und Erwartungen, mit denen Kommunen bei der Verwirklichung einer familiengerechten Zukunft konfrontiert sind. Dabei ging es auch um mögliche Strategien, um den veränderten Bedarfen von Familien gerecht zu werden.

An der Diskussionsrunde beteiligten sich Dr. Ulrich Paetzel, Bürgermeister der Stadt Herten, Prof. Dr. Notburga Ott, Professorin an der Ruhr-Universität Bochum und stellvertretende Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gloria Kaminski, Vorsitzende des Stadtelternbeirats Oberhausen sowie Mitglied des Landeselternbeirates „Kita NRW“ und Eva Bernhardt von der Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände in NRW.

Herausforderungen der kommunalen Familienpolitik

Strukturwandel, angespannte finanzielle Lage und demografischer Wandel stellen die Kommunen in Nordrhein-Westfalen derzeit vor große Herausforderungen. Umso wichtiger sei es nun, klare Strategien zu verfolgen, um aktiv das kommunale Klima zu beeinflussen. Prof. Dr. Notburga Ott sah Familienpolitik in diesem Zusammenhang als eine Querschnittsaufgabe. Als solche betreffe sie eine Vielzahl von Akteuren und Ressorts, die möglichst auch in den Gestaltungsprozess eingebunden werden sollten.

„Kommunen brauchen Partner, aber auch eine starke Bürgerschaft!“

Für Dr. Ulrich Paetzel sind darüber hinaus vor allem die Familien selbst wichtige Akteure bei der Realisierung von mehr Familiengerechtigkeit. Die kommunale Politik brauche neben starken Partnern auch eine starke Bürgerschaft, die Bedürfnisse erkennt, diese artikuliert, Forderungen stellt und die Kommunen somit immer wieder antreibt. Dabei sei es wichtig, Strukturen zu etablieren, die eine solche Beteiligung ermöglichen und fördern. Gloria Kaminski beschrieb in diesem Zusammenhang, dass Eltern sich durch neue Formen der Mitwirkung besser einbringen können. Dies erhöhe auch ihren Stellenwert in den Kommunen.

Alle Familien einbinden

Nicht alle Familien verfügen über die Fähigkeiten und Ressourcen, sich für ihre Interessen einzusetzen und diese im Rahmen kommunaler Prozesse zu artikulieren und zu vertreten. Oft wäre es aber gerade wichtig, die Bedarfe und Nöte dieser Bevölkerungsgruppe einzubinden. Es müssten daher mehr niedrigschwellige (Beteiligungs-)Angebote geschaffen werden. „Mehr Kümmerer in die Quartiere!“ lautete eine Forderung. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass eine solche Partizipation nur auf Augenhöhe funktioniere. Vor Ort gebe es oftmals schon viele gute und auch niedrigschwellig angelegte Projekte, die die Menschen in ihrer Lebenswelt ansprechen und sich für ihre Bedarfe einsetzen. Wichtig wäre es in diesem Rahmen, sich zu vernetzen und voneinander zu lernen.

Alles nur eine Frage des Geldes?

Dr. Ulrich Paetzel wies darauf hin, dass man darüber nachdenken müsse, wie Kommunen in Zukunft dazu befähigt werden können, kommunale Familienpolitik nicht nur als „Zusatz-“, sondern auch als „Pflichtaufgabe“ wahrnehmen zu können. Viele – auch ökonomisch – sinnvolle Maßnahmen könnten so besser vorangetrieben werden, wie beispielsweise Investitionen mit präventivem Charakter. In diesem Zusammenhang verwies Prof. Dr. Notburga Ott darauf, dass dies nicht nur mit der finanziellen Lage der Kommune zusammenhänge, sondern auch damit, dass eine klare Aufgabenzuweisung an die Kommunen fehle und damit die Prioritätensetzung erschwere.

© Marek Eggemann, RevierA GmbH, Essen
Für einen gezielten Ressourceneinsatz sei es sehr wichtig, dass die Kommunen die Bedarfe und Bedürfnisse von Familien kennen. Geeignete Instrumente seien Gesprächsrunden, beispielsweise im Lokalen Bündnis für Familie, sowie eine Familien- und Sozialberichterstattung. Daneben sei es aber auch wichtig, Kostenfaktoren erkennen und einschätzen zu können. Die Kommunen befänden sich zunehmend in einem Zwiespalt, denn bei der Implementierung von Projekten oder Angeboten geht es nicht nur um die Bedürfnisse von Familien, sondern immer auch um die Verhandlung von Finanzen. Mit der Frage „Wie viel sind uns unsere Kinder wert?“, legte ein Tagungsteilnehmer einen Umdenkungsprozess nahe.

Akteursnetze vor Ort sind entscheidend


Eva Bernhardt und Gloria Kaminski betonten in diesem Zusammenhang, dass die Stadtspitze mit ihrer Haltung und ihren Handlungen richtungsweisend sei. Dabei ginge es nicht nur darum, was die Kommune im Einzelnen tut oder in welchem Umfang sie etwas finanziert, sondern vielmehr auch darum, wie sie sich mit allen anderen Akteuren vor Ort aufstellt und sich um deren Beteiligung bemüht. In diesem Sinne würde von der Kommune nicht erwartet, dass diese alles alleine erledigt. Gewünscht werde vielmehr, dass sie ein „Motor“ oder Koordinator ist, der andere, wie beispielsweise Unternehmen, motiviert und ins Boot holt.

„Über den Tellerrand schauen!“

Angeregt von einer Tagungsteilnehmerin wurde darüber diskutiert, dass man mehr von guten Beispielen lernen sollte, als dies bisher der Fall sei. Auch die Vernetzung unterschiedlicher Ebenen könne noch gestärkt werden. Prof. Dr. Notburga Ott wies auf die zwiespältige Rolle von „Modellprojekten“ hin. Hier liege das Problem in der Aufgabenverteilung zwischen den politischen Ebenen. Die Bundesebene könne zwar Modellprojekte finanzieren, verstetigen müssten diese dann jedoch die Länder oder Kommunen. Diese wiederum haben hierfür oft keine finanziellen Kapazitäten. Auch aufgrund bevorstehender Wahlen entstünden Modellprojekte gerne als „Vorzeigeprojekte“. Für die Zukunft wären die Überwindung dieser Strukturen und eine Vernetzung von strategischen Bündnispartnern wichtig, um nachhaltige Prozesse in Gang zu setzen und am Laufen zu halten.

Betreuung als Heilsbringer? Falsches Signal!

Medial werde oftmals der Eindruck erweckt, dass der schrittweise Ausbau der Kinderbetreuung alle Vereinbarkeitsprobleme beseitige und vollständige Familienfreundlichkeit herstelle. Prof. Dr. Notburga Ott verwies in diesem Zusammenhang mit Nachdruck darauf, dass nicht alle Probleme von Familien durch die Betreuungsfrage gelöst werden können.
© Marek Eggemann, RevierA GmbH, Essen

Dies sei das falsche Signal und wecke falsche Erwartungen. Die – individuell sehr unterschiedliche – Lebenswelt der Familien würde mit der medial hervorgehobenen Betreuungsdiskussion nur bedingt erfasst.

Auch das Spektrum der kommunalen Familienpolitik werde zu Unrecht nur auf diesen einen Aspekt reduziert. Dr. Ulrich Paetzel wies mit Bezug auf die thematisierten Betreuungskonzepte darauf hin, dass auch diese noch weiter ausgebaut werden könnten. So seien beispielsweise die Flexibilisierungsmöglichkeiten im Offenen Ganztag noch nicht gänzlich ausgeschöpft.

Nicht nur Quantität, sondern auch Qualität der Betreuung verbessern

Aus dem Publikum heraus wurde angemahnt, dass es bei der Betreuungsfrage nicht nur um die Einhaltung einer Quote gehen könne, sondern auch um die Erbringung einer gewissen Qualität. Diese müsse auch vergleichbar sein, um Segregationsdynamiken zu vermeiden. Dr. Ulrich Paetzel berichtete, dass in Hertener Kindertagesstätten eine solche Vergleichbarkeit gewährleistet sei. Auf Basis einer Analyse wurden in den dortigen Bildungsangeboten gleiche Standards umgesetzt. Dadurch konnte eine positive Entwicklung vor Ort verzeichnet und eine Flucht in private Einrichtungen bzw. Segregation vermieden werden.

„Wichtig ist eine Gesamtstrategie!“

Um Familien in Zukunft gerecht werden zu können, gehe es darum, das ganze gesellschaftliche System um Familie herum umzubauen, so Eva Bernhardt. Dabei sei unter anderem an eine familiengerechte Unternehmenskultur sowie eine angepasste Infrastruktur zu denken. Die Infrastruktur sollte auf die Bedürfnisse von Familien zugeschnitten werden, wie beispielsweise im Rahmen von familienfreundlichen Öffnungszeiten und Angeboten. Wünschenswert wäre, dass die Verwaltung Familie als Ganzes und über Ämtergrenzen hinweg betrachte. Für die Zukunft wäre demnach eine Gesamtstrategie wichtig. „Das ist keine Option. Wenn man Kommune auf Zukunft ausrichten will, ist eine Gesamtstrategie alternativlos“, so Bernhardt.


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