Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Warum kommunale Familienpolitik

Kommunales Management für Familien in einer kreisangehörigen Stadt – ein Erfahrungsbericht

von Christiane Wilk

Wie kann man sich den Prozess der Einführung eines „kommunalen Managements“ vorstellen? Eine Absolventin des Zertifikatskurses Kommunales Management für Familien berichtet über ihre Erfahrungen.

 

„Familienmanagement“ in der öffentlichen Wahrnehmung

Ich beginne mit einer Glosse, die unter den „Stammtischparolen“ der wöchentlichen Samstags-Kolumne am 10.11.2007 in unserer Tageszeitung "Süderländer Tageblatt" abgedruckt war:

„Na Gott sei Dank, wir haben ein Thema, das sich für Vorträge, Debatten und Smalltalk bei Sektchen und Kanapees gleichermaßen eignet. Es geht darum, wie Plettenberg damit klar kommt, dass Ältere älter, Jüngere erst gar nicht geboren werden und Mittelalte zu- oder fortziehen. Was jeder schon immer wusste, heißt heute „demographischer Wandel“ und der muss bewältigt werden. Treffen also in diesen Tagen mehr als drei Leute aus dem öffentlichen Leben zusammen, werden sie seitens der Stadtverwaltung mit einem Vortrag über den DW – so nennen wir das Phänomen mal kurz und knackig – beglückt. Und damit auch alle mit der gleichen Dosis der Erleuchtung bestrahlt und mit der identischen Sprachregelung geimpft werden, gibt es neuerdings ein vom Rat verabschiedetes DW-Leitbild. Beziehungsreicher Name: „Plettenberg – wir bauen Brücken.“ Oha, denkt sich der Redakteur und beginnt sich in dem Zehnseiter festzulesen. Schon spannend, was man in der DW-Bibel erfährt. „Wir installieren ein kommunales Familienmanagement als Querschnittsaufgabe bei der Stadtverwaltung Plettenberg“ lesen wir unter „Wir bauen Brücken zu den Familien“ und nehmen atemlos zur Kenntnis, dass die Demographiebeauftragte zur kommunalen Familienmanagerin fortgebildet wird. Ja hömma, das ist ja klasse!“ Zitatende, es geht noch weiter so.

Was lernen wir daraus?
a) Plettenberg ist tief im Sauerland und
b) für kommunales Familienmanagement besteht noch nicht ganz so viel Verständnis.

Was folgt daraus für die zukünftige Plettenberger Familienmanagerin? Sie muß dafür sorgen, dass die Plettenbergerinnen und Plettenberger sich etwas unter dem Begriff kommunales Familienmanagement vorstellen können und auch wissen, in welchem Zusammenhang er steht. Ich möchte nämlich nicht mit der Familienmanagerin verwechselt werden, die in der TV-Werbung für Staubsauger ein erfolgreiches, kleines Familienunternehmen führt.

Aber wie kam es dazu, dass Plettenberg dieses neue Steckenpferd bekam? Um mein Projekt, die „Einführung eines kommunalen Familienmanagements als Querschnittsaufgabe bei der Stadtverwaltung Plettenberg“ einordnen zu können, muss man die Vorgeschichte und die Ausgangslage kennen.

 

Die Ausgangslage

Plettenberg ist eine der Kommunen, die stark von den Herausforderungen des Demographischen Wandels betroffen ist. Die Bertelsmann Stiftung prognostiziert für die Zeit von 2003 – 2020 einen Bevölkerungsrückgang um 9,8 %. Das ist Grund genug für die Stadt Plettenberg, tätig zu werden, gegen zu steuern und die Problematik umfassend anzugehen. Im September 2006 fasste der Rat den Grundsatzbeschluss, dass die Stadt Plettenberg aktiv den Prozess des demographischen Wandels gestaltet. Der Arbeitskreis Demographischer Wandel wurde ins Leben gerufen, in dem neben Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung auch das Stadtmarketing, die Freiwilligenzentrale und die Wirtschaft vertreten sind.
Anfang 2007 wurde ich Demographiebeauftragte. Im Rahmen von Demographietrainings mit der Bertelsmann Stiftung im ersten Halbjahr 2007 wurden erste Handlungsfelder für Plettenberg herausgearbeitet:

Imagewandel, Familien-, Senioren- und Wirtschaftsfreundlichkeit.

Im Juni 2007 erhielt ich Kenntnis von der Fortbildung „Kommunales Management für Familien“. Da zu diesem Zeitpunkt klar war, dass die Beschäftigung mit der Familie das zentrale Thema im Zusammenhang mit der Steuerung des Prozesses des Demographischen Wandels in Plettenberg ist, befürwortete der Bürgermeister meine Teilnahme an dieser Fortbildung und ich meldete mich an.

In Plettenberg gibt es gute Ansätze und Angebote, sowohl von kommunalen Stellen als auch von nichtstaatlichen Institutionen. Das Thema Familie ist positiv besetzt. Politik und Verwaltung, Einrichtungen und Verbände versuchen im Moment, zum Thema Familienfreundlichkeit weitere Angebote zu entwickeln, im Grunde eine sehr positive Entwicklung, die aber nicht immer koordiniert abläuft. Zielsetzung ist die Entwicklung eines familienfreundlicheren Klimas in der Stadt, um die hohe Abwanderung zu verlangsamen.

Die Stadtverwaltung befand sich im Herbst 2007 durch die Auflösung der Dezernate und die Einrichtung von Fachbereichen, bedingt durch die Pensionierung eines Dezernenten, im Umbruch.
Meiner Meinung nach war das ein guter Zeitpunkt, um neue Strukturen zum Thema Familie in Form der Einführung eines kommunalen Familienmanagements zu erarbeiten. Wilder Aktionismus und unabgestimmte Angebote können so vermieden werden. Zurzeit fehlen auch noch Datengrundlagen und gebündelte Informationen, um differenziert viele Aspekte des Themas Familie zu beleuchten, um Schwachstellen in Plettenberg genau zu benennen und um zielgerichtete Maßnahmen zu entwickeln.

Seit 2007 bin ich mit der „Stabsstelle Demographie und Gleichstellung“ direkt dem Bürgermeister unterstellt. Ich arbeite seit 1983 bei der Stadtverwaltung Plettenberg, ganz überwiegend im Hauptamt und seit 1996 zusätzlich als Gleichstellungsbeauftragte. Die Demographiebeauftragte ist laut Stellenausschreibung zuständig für alle relevanten Fragen und Themenstellungen rund um den demographischen Wandel und die Koordination der damit zusammenhängenden Entwicklungen und Probleme.

 

Die ersten Schritte

Der Bürgermeister beauftragte mich direkt im Anschluss an das erste Modul des Zertifikatskurses am 10.10.2007 mit der Projektleitung für die „Einführung eines kommunalen Familienmanagements als Querschnittsaufgabe bei der Stadtverwaltung Plettenberg“, nachdem ich ihm meine Projektidee vorgestellt hatte.

Notwendig war zunächst die Information und Beteiligung weiterer Personen und Stellen in Verwaltung und Politik, für die das Thema „Kommunales Familienmanagement“ fremd war. Als erstes habe ich im Oktober 2007 Gespräche mit dem Bürgermeister und dem Jugendamtsleiter geführt, die Unterstützung für das Projekt zusicherten. Um das Thema “Familie“ auch nach außen zu betonen und sichtbarer zu machen, wurde vereinbart, in den aufgrund einer Verwaltungsstrukturänderung zum 01.11.2007 neu geplanten Fachbereich 3 erstmalig den Begriff Familie aufzunehmen. Der Fachbereich 3 heißt jetzt „Ordnung, Soziales, Jugend und Familie“ und dementsprechend ist das frühere Jugendamt jetzt das „Fachgebiet Jugend und Familie“.

Maßgeblicher als die Namensgebung ist aber, das Thema „Familie“ in alle Bereiche des Verwaltungshandelns zu implementieren und die Wirkung von Maßnahmen und Entscheidungen hinsichtlich ihrer Familienfreundlichkeit zu prüfen. Dazu müssen noch Kriterien entwickelt werden. Möglich sind beispielsweise die Einführung einer Familienverträglichkeitsprüfung in Bauleitverfahren und die Anwendung der Kriterien zur Prüfung der Familienfreundlichkeit einer Kommune, die zurzeit gemeinsam vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nord-
rhein-Westfalen, der Bertelsmann Stiftung und der berufundfamilie gGmbH entwickelt werden, um Kommunen zertifizieren zu können.

Erleichternd für die strategische Planung war, dass im Rahmen des Arbeitskreises Demographischer Wandel bereits sehr intensiv eine Leitbilddiskussion auch zum Handlungsfeld Familie geführt wurde. Ich habe den Mitgliedern des Arbeitskreises erläutert, wie wichtig es sei, ein kommunales Familienmanagement einzuführen, um von Anfang an Strukturen aufzubauen und Entscheidungen anhand von aufbereiteten Daten zu treffen. Der Arbeitskreis stimmte diesem Vorschlag zu, die „Einführung eines kommunalen Familienmanagements als Querschnittsaufgabe bei der Stadtverwaltung Plettenberg“ wurde daraufhin mit in das Handlungsfeld Familie aufgenommen.

Strategisch bedeutsam und ein Meilenstein des Projektes war die Ratssitzung am 06.11.2007, in der einstimmig das vom Arbeitskreis Demographischer Wandel erarbeitete Leitbild mit den Handlungsfeldern, Zielen und möglichen Maßnahmen (unter anderem: Wir installieren ein kommunales Familienmanagement als Querschnittsaufgabe bei der Stadtverwaltung Plettenberg) beschlossen wurde. Das Leitbild und die Ausführungen zum Handlungsfeld „Familie“ sind in einer Familienbroschüre abgedruckt.

Die Bedeutung der Daten wurde mir in der Fortbildung zur kommunalen Familienmanagerin sehr nahe gebracht. Anfang 2008 habe ich in unserer Lenkungsgruppe angeregt, im Rahmen eines „Daten-Forums“ zu überlegen, welche Daten in welcher Form wo vorhanden sind, welche Daten für welche Zwecke im Zusammenhang des Demographischen Wandels, insbesondere zum Thema Familie benötigt werden usw. Das Daten-Forum mit Beteiligung der Fachbereichsleitungen und der EDV hat erstmalig am 07.02.2008 stattgefunden und wird weiter tagen, um sich auf eine sinnvolle Gliederung des Stadtgebiets zu verständigen und um zu überlegen, welche Daten benötigt werden, wo sie herkommen, ob externe Hilfe nötig sein wird, ob evtl. eine Statistikstelle eingerichtet werden kann usw..

Aber nicht nur auf der strategischen Ebene, sondern auch auf der operativen Ebene hat sich in den letzten Monaten viel getan. Die Öffentlichkeitsarbeit ist mir wichtig: Ich habe bei allen möglichen Gelegenheiten für das kommunale Familienmanagement geworben, ich bin mit dem Leitbild oder der DW-Bibel, wie die Presse das bezeichnet, quasi als Predigerin durch die Stadt gezogen. Gepredigt habe ich im Rahmen der Auftaktveranstaltungen „Weniger – älter – bunter“ am 23.10.2007, mittags für die Beschäftigten der Verwaltung und abends für die Bevölkerung und Presse, in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses, im Rahmen des SIHK-Wirtschaftsgespräches, bei Vorträgen bei einem großen Sportverein oder bei der katholischen Gemeinde in Plettenberg. Immer mit dem Ziel, deutlich zu machen, dass die Verbesserung der Familienfreundlichkeit in Plettenberg, an der alle interessiert sind, strukturiert und kooperiert anhand von Daten erfolgen soll.

 

Die ersten Maßnahmen

Seit Ende 2007 sind erste Maßnahmen angelaufen, bei denen mir besonders gut die Zusammenarbeit mit ganz verschiedenen Bereichen gefallen hat und die auch sichtbar machen, in wie vielen Arbeitsgebieten das Thema Familie eine Rolle spielt. Besonders hilfreich ist auch, dass für manche Maßnahmen Kolleginnen und Kollegen die Federführung haben.

Zur besseren Vermarktung der bereits bestehenden guten Angebote in Plettenberg haben wir die Familienbroschüre in Kooperation mit Fachbereichsleiter 3, Fachgebietsleiter Soziales und Wohnen und Sachgebietsleiter Allgemeiner Sozialer Dienst erstellt.

In Kooperation mit der Leiterin des zukünftigen städtischen Familienzentrums biete ich ab Januar 2008 einen neuen Kurs für Alleinerziehende an, eine Form der gewünschten Zielgruppenarbeit innerhalb der großen Plettenberger Familie.

Meine persönliche Lieblings-Maßnahme ist die Erarbeitung eines Vorschlags zur kommunalen Wohneigentumsförderung in Plettenberg in Kooperation mit Bürgermeister, Fachgebietsleitung Stadt- und Umweltplanung, Bauordnung und Bauverwaltung und dem für Liegenschaften zuständigen Mitarbeiter.

Zur Erleichterung der Situation armer und nicht gut verdienender Familien soll die Beitragspflicht für Kindergartenbeiträge und für die Elternbeiträge zur offenen Ganztagsschule erst ab einem Jahreseinkommen von 37.500 € mit Abzug von Kinderfreibeträgen und Beitragsfreiheit für Geschwisterkinder gelten. Diese Regelungen sollen auch in einer Sitzung des Rates verabschiedet werden.

Geprüft wird zurzeit auch noch die Einführung eines Sozial-Passes für arme Familien unter der Federführung des Fachgebietsleiters Soziales und Wohnen, das Mitte des Jahres 2008 verabschiedet werden soll.

Zur Familie gehören für uns auch die Seniorinnen und Senioren. Da die Maßnahmen aber hier anders gelagert sind als für die „jungen Familien“, wurde ein eigenes Handlungsfeld erarbeitet, in dem ebenfalls Maßnahmen angelaufen sind, z.B.
  • ein groß angelegtes Generationenprojekt mit Beteiligung aller Altersgruppen („Jung und alt im Plettenberger Wald“)
  • eine erste Seniorenkonferenz
  • die Wahl eines Seniorenbeirates in der zweiten Jahreshälfte 2008 (Vorbereitung vom Fachgebietsleiter Soziales und Wohnen)
  • die Einrichtung eines Begegnungszentrums in Koordination mit der Freiwilligenzentrale.

Neu eingerichtet wurden in diesem Jahr vier Arbeitsgruppen jeweils zu den Handlungsfeldern Imagewandel, Familie, Senioren und Wirtschaft. Diese Arbeitsgruppen dienen als Ideenbörse und Diskussionsforum mit weiteren Akteurinnen und Akteuren, die mögliche Maßnahmen vorbereiten und den politischen Gremien zur Verabschiedung vorschlagen sollen.

 

Aktueller Stand und Ausblick

Bei der Vorstellung des Projektes „Kommunales Management“ wurde mir erstmalig der Zusammenhang – oder besser der Rahmen – für die verschiedenen Inputs im Rahmen der Fortbildung klar, zum anderen konnte ich die verschiedenen Bausteine eines kommunalen Familienmanagements anhand der Ausführungen zum Modellprojekt besser zuordnen. Klar wurde mir auch, dass ich das geplante kommunale Familienmanagement als Querschnittsaufgabe bei der Stadtverwaltung nicht so wissenschaftlich wie vielleicht nötig einführen kann. Die Rahmenbedingungen dazu fehlen vor Ort. Dennoch hat der Prozess in Plettenberg begonnen.

Auch wenn wir in Plettenberg anders vorgehen als Verwaltungen in einer Großstadt, auch wenn wir noch keinen Familienbericht und kein „Change Management“ haben, hat sich in den letzten Monaten eine Menge bewegt. Von vollkommen neuen Wegen in der Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und weiteren Beteiligten über Veränderungen in der Verwaltungsorganisation bis hin zur Verabschiedung eines Leitbildes und der Projektarbeit in neuartigen Arbeitsgruppen wurden sehr intensiv neue Strukturen eingeführt und eingeübt. Allen Beteiligten – und dies sind inzwischen ziemlich viele – ist klar, dass den neuen Herausforderungen, die der Demographische Wandel mit sich bringt, mit diesen neuen Strukturen begegnet werden muss, dass Veränderungsprozesse in vielfältiger Hinsicht anzustoßen sind und dass für diese Aufgabe Geld und Personal zur Verfügung gestellt werden muss.

Alle Beteiligten in Plettenberg verfolgen intensiv aus unterschiedlichen Beweggründen heraus das Ziel: Wir sind familienfreundlich. Und diese hohe Motivation und das Engagement der Beteiligten in Kombination mit neuen Kooperationen zwischen Gruppen und Menschen, die sich noch nie vorher begegnet sind, und neuen Methoden machen diese neue Herausforderung so spannend und interessant. Positiv ist auch, dass unser Bürgermeister den demographischen Wandel und auch die Familienfreundlichkeit als Chefsache betrachtet und ihnen einen hohen Stellenwert einräumt. Insofern ist die Einführung des kommunalen Familienmanagements, die die von allen Beteiligten gewollte Zielsetzung sehr gut unterstützt, auf fruchtbaren Boden gefallen und wird von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren mitgetragen.

Erfolgreich ist mein Vorhaben meiner Meinung nach dann, wenn das Projekt kein Projekt mehr ist, sondern wenn das kommunale Familienmanagement als Querschnittsaufgabe nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Denken und tatsächlichen Tun bei allen Beteiligten in der Stadtwaltung Plettenberg als Querschnittsaufgabe wahrgenommen und umgesetzt wird.


Autorin:

Christiane Wilk
Demographie- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Plettenberg.


Erstellungsdatum: 20.08.2008
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