Praxis vor Ort
Beispiel guter Praxis: Dortmunder Kinderstuben
- Ausgangssituation und Ziele des Projekts
- Ziele und Zielgruppe
- Akteure und Strukturen
- Grundsätze der Arbeit und Umsetzung vor Ort
- Verstetigungsprozess
- Ansprechperson
Ausgangssituation und Ziele des Projekts
Ausgangspunkt für die Initiierung der Kinderstuben im Jahr 2008 war die spezielle Sozialstruktur im Quartier Brunnenstraßen- und Hannibalviertel in Dortmund. Das Quartier im Stadtteil Innenstadt-Nord ist geprägt durch viele Kinder und Jugendliche und einen hohen Migrantenanteil – 92 Prozent der 0-6-jährigen Kinder haben einen Migrationshintergrund. 40 Prozent der hier lebenden Menschen erhalten Leistungen nach dem SGB II. Hilfen zur Erziehung werden in hohem Maße in Anspruch genommen. Bildungsprobleme zeigen sich unter anderem in einer geringen Anmeldequote zum Gymnasium.
- Kinder und Betreuerinnen in der Kinderstube © W.D. Blank
In dieser Situation sollten die Kinderstuben Abhilfe schaffen. Die Initiatoren waren der Überzeugung, dass Sozialraumorientierung, eine ganzheitliche Sichtweise und interdisziplinäre Orientierung erforderlich sind, um die sozialen Problemlagen angemessen anzugehen. Niedrigschwellig, wohnortnah und präventiv sollte das Angebot also sein. „Wir wollten mit den Kinderstuben den Kindern aus sozial benachteiligten Familien bereits vor dem Eintritt in eine Kindertageseinrichtung einen Betreuungs- und Bildungsort anbieten, an dem sie ihren Fähigkeiten, Neigungen und Bedürfnissen entsprechend umfassend gefördert werden“, so Ingolf Sinn, Koordinator für die wissenschaftliche Begleitforschung des bis jetzt einzigartigen Projektes.
Ziele und Zielgruppe
Im Blickpunkt der Kinderstuben sollten Kinder stehen, die zwischen einem und vier Jahre alt sind. Für die Vergabe der Betreuungsplätze wurde festgelegt, dass die Arbeitslosigkeit der Eltern kein Ausschlusskriterium sein darf.Die Initiatoren sahen von Anfang an die Notwendigkeit, sich nicht nur auf die Beziehung zu den Kindern zu beschränken, sondern auch die Eltern mit einzubeziehen: „Die Elternarbeit sollte ein zentraler Aspekt der Kinderstuben werden“, erklärt Ingolf Sinn, „es wurde eine intensive Zusammenarbeit mit den Eltern angestrebt, die das Ziel verfolgte, die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu unterstützen und zu stärken.“
Akteure und Strukturen
Um die genannten Ziele zu erreichen zu können, wurde die Zusammenarbeit mit verschiedenen Initiativen und Organisationen gesucht. Beteiligt waren neben der Grundschule „Kleine Kielstraße“ unter anderem Wohnbaugesellschaften, die Robert-Bosch-Stiftung, der Verein „Kinderlachen e.V.“, die AWO und die FABIDO (Familienergänzende Bildungseinrichtungen für Kinder in Dortmund).Die Grundschule „Kleine Kielstraße“ war als Initiator und Koordinator tätig. Als Träger der Kinderstuben konnten FABIDO (aktuell Träger von 3 Kinderstuben) und AWO (2 Kinderstuben) gewonnen werden. Die Kooperation mit den örtlichen Wohnungsbaugesellschaften machte ein wohnortnahes Angebot möglich. Die Gesellschaften Dogewo, LEG und J.E. Schmitt GbR stellten den Kinderstuben innerhalb der Quartiere kostenfrei Räume zur Verfügung, beispielsweise leerstehende Ladenlokale. Um das Projekt starten zu können, erhielten die Kinderstuben zu Beginn bis ins Jahr 2011 von der Robert-Bosch-Stiftung eine Anschubfinanzierung.
Weitere Unterstützung gab es zudem vom Verein „Kinderlachen e.V.“, der die Patenschaft für die Kinderstuben übernahm und sie finanziell und mit Sachspenden unterstützte, sowie von der AWO-Initiative „Tischlein-Deck-Dich“, die Frühstück sponsert.
Grundsätze der Arbeit und Umsetzung vor Ort
„In den Gruppen verfolgen wir drei Ziele: die individuelle Förderung der Kinder, die Einbindung der Eltern und zu guter Letzt soll der Übergang in eine reguläre Tageseinrichtung gelingen“ erklärt Ingolf Sinn. Das Betreuungskonzept gliedert sich in drei Punkte:
Das erste Ziel, die individuelle Förderung der Kinder, besteht aus den Schwerpunkten Bewegung, Sprache, Spiel und Kreativität/Soziales Miteinander sowie Natur und Umwelterfahrung. Um die Bewegungskompetenz der Kinder zu fördern, werden gezielt Bewegungsangebote gemacht, im Alltag sollen die Kinder immer wieder Möglichkeiten finden, Bewegungserfahrungen zu machen, was in innerstädtischen Gebieten oft schwierig ist. Dazu steht zusätzlich ein Motopädieraum zur Verfügung, der wöchentlich genutzt werden kann. In Bezug auf die Sprache sollen die Erzieherinnen den Kindern ein Vorbild sein, sowohl was das Kommunikationsverhalten angeht, als auch auf den Sprachgebrauch bezogen. Der Spracherwerb wird gezielt gefördert. Spiel- und Bewegungsangebote stärken Fähigkeiten im sozialen Miteinander. Das gemeinsame Spiel wird durch die Erzieherinnen unterstützt. Durch Ausflüge in die Natur und das Wohnumfeld können die Kinder wichtige Erfahrungen machen.

- Kinder und Betreuerinnen im Garten © W.D. Blank
Unter dem zweiten Ziel, dem Einbezug der Eltern, werden Maßnahmen zusammengefasst, die das Vertrauen zwischen den Eltern und den Betreuern sowie den Betreuungsinstitutionen verbessern sollen. Erziehungsberatung, aber auch individuelle Beratung und Begleitung der Eltern sowie die Vermittlung von Kontakten zu weiteren (Sozial-)Dienstleistern gehören zum festen Angebot für Eltern. Die Elternarbeit findet in der Regel ab 14 Uhr in den Kinderstuben statt. Zusätzlich gibt es weitere Angebote wie gemeinsame Ausflüge oder Elternnachmittage.
Drittes Ziel ist der begleitete Übergang in eine Tageseinrichtung für Kinder. Dazu bieten die Kinderstuben Beratung und Unterstützung bei der Anmeldung in einer Tageseinrichtung an und gestalten den Übergang in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen möglichst reibungslos für Kinder und Eltern. Für jedes Kind, das die Kinderstube besucht hat, wird im Anschluss ein Platz in einer FABIDO-Kindertagesstätte garantiert.
Die Tagesmütter der Kinderstuben gezielt ausgesucht und geschult. Viele der Tagesmütter waren den Trägern schon vor Gründung der Kinderstuben bekannt, ein Großteil stammt selbst aus dem Quartier, Vielsprachigkeit ist die Regel. Neben den umfänglichen Qualifizierungen des Jugendamtes gibt es verschiedene zusätzliche Schulungsmodule wie z. B. Marte Meo.
Eine weitere Besonderheit des Dortmunder Konzeptes ist die regelmäßige sozialpädagogische Betreuung der Tagesmütter und ein ebenfalls regelmäßiger kollegialer Austausch im Stadtbezirk.
Verstetigungsprozess
Nachdem im Dezember 2008 und Januar 2009 die ersten Kinderstuben eröffnet wurden, gibt es aktuell bereits fünf Kinderstuben. Insgesamt werden derzeit 45 Betreuungsplätze angeboten. Weitere Kinderstuben sind geplant – unter anderem für Kinder von Einwanderern aus Südosteuropa.Die Kinderstuben haben sich im Stadtteil als frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote schnell etabliert. „Neue Plätze sind in der Regel sehr schnell vergeben“ so Ingolf Sinn, der darauf hinweist, dass „ein besonders günstiger Betreuungsschlüssel, ein hohes Maß an Flexibilität, Elternarbeit und fußläufige Erreichbarkeit“ den Bedarfen der Bewohner entgegenkommt.
Mittlerweile wurden die Kinderstuben in das Netzwerk INFamilie eingebunden, ein Teilprojekt des Präventionsprojektes „Kein Kind zurücklassen“. Im Rahmen von INFamilie werden in Referenzprojekten Bildungs- und Präventionsketten aufgebaut, um Kinder möglichst lückenlos begleiten und fördern zu können. Erfolgreiche Projekte sollen auf weitere Städte übertragen werden. Und auch von wissenschaftlicher Seite werden die Kinderstuben genau betrachtet: zurzeit wird eine Evaluation der Kinderstuben durchgeführt, die abermals von der Robert-Bosch-Stiftung finanziert wird.
Ansprechperson
Ingolf SinnStadt Dortmund, Team Familien-Projekt
Tel.: 0231 50-29896
E-Mail: isinn(at)stadtdo.de
letzte Aktualisierung am 30.10.2014