Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen

Impulsreferat

Vortrag "Zukunft der Familie – Zukunft der Gesellschaft"

von Prof. Dr. Horst W. Opaschowski
Wissenschaftlicher Leiter der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, Hamburg
Porträt: Prof. Dr. Horst W. Opaschowski
Beim Blick in die Zukunft der Familie und ihrer sozialen Netzwerke schwanken die Expertenmeinungen zwischen Katastrophenszenarien und leuchtenden Farben einer neuen Lebensform von Generationen, deren Gestalt sich im Lebensverlauf immer wieder verändert und dennoch sozial miteinander verbunden bleibt. Die Familie ist in den letzten Jahrzehnten der Verursacher des demographischen Wandels gewesen. Also könnte die Familie in Zukunft auch ihr Veränderer sein.

Der enge (traditionelle) Familienbegriff – verstanden als alle in einer Haushaltsgemeinschaft von Eltern mit ihren Kindern lebenden Menschen – ist überholt. Diese Verengung auf den Begriff der Haushaltsgemeinschaft verstellt den Blick auf die vielfältigen Kontakte und Beziehungen der Familienmitglieder im sozialen Umfeld. Ein familiales Netzwerk wird aus gelebten sozialen Beziehungen geknüpft – heute noch als Drei-, in Zukunft als Vier- oder gar Fünfgenerationenfamilie. Der Gedanke des gemeinsamen Haushaltes kann nicht mehr im Zentrum familienpolitischer Betrachtung stehen. Die Haushaltsstatistik verliert an Bedeutung, die Beziehungen zwischen den Generationen auch über größere räumliche Entfernungen hinweg werden wichtiger – für die Familienpolitik und die Netzwerkforschung.

Der Familienbegriff weitet sich im 21. Jahrhundert immer mehr aus als eine Folge von miteinander verbundenen Generationen. Zusätzlich begleiten näher und ferner stehende Menschen das Leben des Einzelnen: sogenannte soziale Konvois im außerfamilialen Bereich. „Gute Freunde“ reichen dazu allein aber nicht aus, weil sie meist gleichaltrig sind und ihre Zahl im Alter zurückgeht. Soziale Konvois sind nur hilfreich, wenn sie generationsübergreifend angelegt sind.

Im 21. Jahrhundert gilt für das Zusammenleben der Generationen der Grundsatz: Mehr Nähe als Distanz, wobei Nähe eher gute Erreichbarkeit als unmittelbare Wohnungsnähe bedeutet. Innerhalb einer Zwei-Stunden-Distanz sind 60 Prozent der Kinder und 52 Prozent der Eltern erreichbar. Eine bemerkenswerte Ortsnähe. Die Deutschen praktizieren Familiennähe, wo und wie sie nur können.

Beständigkeit ist wieder gefragt. Der Trend zur Individualisierung des Lebens hat seinen Zenit überschritten. Die Mehrheit der jungen Leute entdeckt den Wert von Verlässlichkeit wieder. Für den wachsenden Trend zur Beständigkeit spricht auch, dass die Ehen wieder stabiler werden und es auch weniger Scheidungen gibt. Seit 2004 sinkt die Zahl der Scheidungen in Deutschland kontinuierlich. Sich ein Leben lang die Hand zu reichen wird wieder selbstverständlich.

Die Gesellschaft der Ichlinge befindet sich auf dem Rückzug. Erstmals seit über zehn Jahren gibt es wieder mehr Geburten in Deutschland (2006: 673.000 – 2007: 690.000). 2007 gab es mit 1,45 die höchste Geburtenrate seit der Wiedervereinigung. Vom leichten Zuwachs bei den Neugeborenen bis zum allgemeinen Babyboom ist allerdings noch ein weiter Weg.

In Zukunft werden die Generationenbeziehungen zwischen Enkeln, Kindern, Eltern und Großeltern eine größere Bedeutung haben als etwa die Beziehungen zu Geschwistern, Cousinen und Vettern. Die vertikalen Familienbeziehungen von Jung bis Alt werden wichtiger als die horizontalen zwischen Gleichaltrigen. Das trifft insbesondere für die persönliche Hilfeleistung, Unterstützung und Fürsorge zu. Die Mehrgenerationenfamilie lebt – in einem multilokalen Netzwerk, nicht unbedingt unter einem Dach.

Das selbst genutzte Wohneigentum erfährt eine bedeutsame Aufwertung. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise stellt es das verlässlichste Fundament einer persönlichen Zukunftsvorsorge dar. Ein Leben lang wird im eigenen Interesse die Wohnsubstanz erhalten und verbessert. Die eigene Wohnung und das eigene Haus stellen die einzige Form der Zukunftsvorsorge dar, von der man schon in jungen Jahren profitiert – von der eigenen Nutzung bis zur Wertsteigerung.

Den Wunsch-, Wohn- und Lebenskonzepten der Bevölkerung stehen allerdings immer noch die sozialen Defizite des Stadtlebens gegenüber. Kinderunfreundlichkeit (54%), Familienunfreundlichkeit (51%) und Seniorenunfreundlichkeit (51%) stellen die größten Herausforderungen für das Leben in der Stadt der Zukunft dar. Die Kommunalpolitiker haben in den letzten Jahrzehnten für viele Grünflächen, für ein vielfältiges Kulturangebot und ein abwechslungsreiches Freizeitangebot gesorgt, aber die Menschen zu wenig zum freundlichen Umgang miteinander motiviert und aktiviert.

Eine Stadt oder Region ohne familienfreundliches Klima kann keine nachhaltige Zukunft vor sich haben. Eigentlich müsste es in jedem Stadtteil, Wohnquartier oder Wohnblock eine Helferbörse geben, wo man Helferdienste in Anspruch nehmen oder anbieten kann.

Eine Hauptaufgabe aktivierender Kommunalpolitik wird es daher in Zukunft sein müssen, insbesondere jungen Familien beim Flechten von informellen Netzwerkstrukturen behilflich zu sein. Die Kommunalverwaltungen müssen zu Vernetzern werden und Vereine und Bürgerinitiativen zu Partnern machen. Wohlstand wird zu einer Frage des sozialen Wohlbefindens. In Zukunft kann Wohlstand auch bedeuten, weniger Güter zu besitzen und doch besser zu leben. Eine Neubesinnung auf das Beständige findet statt. Beim Nachdenken über nachhaltigen Wohlstand geht es um das Gelingen des Lebens. Und das heißt auch: Gut leben statt viel haben.

Ökonomisch gesehen wird es den Menschen nicht mehr so gut gehen wie heute. Die Menschen spüren dies. Zugespitzt in der Erkenntnis: Die fetten Jahre sind vorbei - das Schlaraffenland ist abgebrannt. Die Deutschen werden ärmer – nicht aber unglücklicher. Das Wohlstandsdenken verändert sich. Nachhaltiger Wohlstand ist gefragt, der nicht nur von Konjunkturzyklen und Börsenkursen abhängig ist. Die bloße Lebensstandardsteigerung hört auf, das erstrebenswerteste Ziel im Leben zu sein.


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